In vollkommen überbuchten Zügen kann nämlich selbst der zurückgezogenste Muffel nicht anders, als seinen Mitmenschen nahe zu kommen.
Zwischen Mannheim und Stuttgart hat die Vorbereitung auf das Fest der Liebe ihren Höhepunkt: aus Nächstenliebe hat jeder zweite Passagier sein Gepäck auf dem Schoss, um den Eingestiegenen Platz zu machen. Zwischen den Sitzreihen drängen sich die Mitfahrenden dicht aneinander, stehend wird jeder Millimeter optimal genutzt, im Vorraum ist kein Platz mehr zum Stehen und freie Sitzplätze gibt es schon lange nicht mehr. Witziger Weise funktioniert die Strategie der Bahn: die Leute kommen tatsächlich in's Gespräch. In den meisten Fällen fängt es an mit "Entschuldigen Sie, könnten Sie bitte Ihr Snowboard/Ihren Rucksack/Ihre Tanne aus meinem Gesicht nehmen?", alternativ beginnt man mit "Geht es da vorne nicht mal weiter?".
Es dauert aber gar nicht lange, da hilft man sich gegenseitig, auf die Uhr zu schauen, weil man sich selbst nicht mehr bewegen kann, man plaudert über Schneehöhen, die richtige Wahl des Geschenkes für die Schwiegermutter und was es am heiligen Abend zu Essen geben wird.
Ich bin so privilegiert, einen Sitzplatz zu haben. Den habe ich schon Anfang November reserviert und bin heilfroh drum. Aber auch ich habe an der allgemeinen und für Deutschland untypischen Gesprächigkeit aller Fahrgäste teil. Meine drei Sitznachbarn und ich behandeln die Frage, ob sich Preis und Qualität bei der Firma Apple in der Waage halten, fachsimpeln über den Klimawandel und den Schnee der letzten Jahre und diskutieren, ob ein verpflichtender Zivildienst am Anfang und am Ende des Berufslebens eines jeden Einzelnen sinnvoll wäre. Zu guter letzt stellt sich heraus, dass der junge Herr mir gegenüber im Jahr zuvor ein FSJ in der gleichen Organisation wie ich absolviert hat, wenn auch nicht in Bonn sondern in Äthiopien.
Unter Grüßen an die ihm bekannten Kollegen, frohen Weihnachts-, Neujahrs- und guten Wünschen im Allgemeinen, jetzt und in Zukunft, kämpfe ich mich in Augsburg aus dem Zug.
Sehr lobenswert, mein Zug hat nur so viel Verspätung, dass ich nur etwa eine Viertel Stunde bei Minusgraden auf meinen Anschluss warten muss. In Buchloe geht es nicht so komfortabel zu, der Zug ist zwar da, fährt aber nicht und die Heizung bleibt aus Kostengründen ausgeschaltet.
Nach insgesamt fast acht Stunden Reise komme ich dann aber endlich in Füssen an. Am Bahnsteig werde ich gleich von der ganzen Familie in Empfang genommen, bekomme im Haus sofort Knödelsuppe und falle bald müde in mein Bett. Heilig Abend kann kommen.
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