Morgens fahre ich zeitweise komplett alleine in der Ubahn. Aber warum sollte man sich am Wieverfastelovendmorgen (Weiberfastnachtsmorgen) auch aus dem Bett quälen und zur Arbeit gehen? Selbst die Stationen, die normalerweise von Schülern wimmeln, sind heute leer. Die einzigen Schüler, die ich treffe, unterhalten sich darüber, ob genug Vodka in ihrer Apfelsaftschorle ist. Die wenigen Menschen, die mich zeitweise begleiten, sind mit nur minimalen Ausnahmen verkleidet. Aber richtig. Und sie strahlen wie kleine Kinder an Weihnachten.
Auf der Arbeit sind die Gänge fast genauso leer gefegt, in den anderen Räumen herrscht geschäftiges Treiben, die Rest der Welt feiert die 5. Jahreszeit ja nicht, das Leben geht also weiter, auch wenn wir nur patiell anwesend sind.
Um 11.30 Uhr verlasse ich das Gebäude, verpasse damit zwar in hausinterne Karnevalsparty, erlebe aber ein anderes spektakuläres Ereignis: der Bahnsteig, der morgens noch menschenleer war, ist jetzt so voll, dass man sich nicht mehr bewegen kann. Aus einem Bollerwagen schallt Musik und mindestens 150 Verkleidete tanzen und betrinken sich.
Eine Ansage tönt durch die Lautsprecher: "Aufgrund eines Motorschadens fällt die folgende Bahn leider aus. Die nächste Anschlüsse werden Verspätung haben.... Aber.... Alaaf!" Und statt trüben Gesichtern wie normalerweise, jubelen alle. Alaaf!
In der Bahn kommt man mit jedem in's Gespräch, zu Hause ziehe ich mich blitzschnell um: ich gehe als Alien. An Armen und Beinen sowie an meinem Gürtel befestige ich Alufolie, dazu kommt ein Alufolienhaarband mit Antenne, die Out-of-Haustür-Glitzerleggins und ein graues Kleid. Noch ein grüner Schaal, viel Schminke in's Gesicht und fertig. Dann ist Jessi auch schon da, wir freuen uns über Amaretto und stifeln bei Nieselregen auf nach Beuel ans Rheinufer. In der Bahn bekommen wir von einer 87-jährigen Jeckin noch einen Schnell-Sprachkurs und wissen jetzt, wie man "Wieverfastelovend" ausspricht.
In Beuel geht die Lutzi mal wieder ab. Das Rathaus ist schon seit zwei Stunden gestürmt und am Rheinufer feiern bestimmt 1000 verkleidete Jecken im Regen. Wir treffen viele bemerkenswerte Persönlichkeiten, unter anderm Frau Merkel, und unterhalten uns prächtig. Später stößt Sherlok Holmes zu uns, seinerseits Kollege im politischen Jahr.
Irgendwann wird uns kalt und wir laufen mit vielen netten Leuten zu Jessis WG. Nach kurzer Aufwärmphase machen wir uns abends nochmal auf den Weg in eine Bar zum weiterfeiern. Man kann sich fast nicht bewegen und als Kontrastprogramm zum Nachmittag hat es mindestens 40°C in dem Raum. Aber das amcht nichts, wir singen einfach alle mit und tanzen. Die Lieder sind so eingängig, dass sogar wir karnevalunerprobten Hessen und Niedersachsen ab der zweiten Strophe aus voller Kehle mitgröhlen können.
So vergehen die Stunden. Gegen Mitternacht gefühlt (ein Blick auf die Uhr verrät: es ist 20.30 Uhr, kommt eine männliche Nonne auf die glorreiche Idee, jedem, an dem sie vorbeikommt, in den Hals zu beißen, aber es scheint schon keinen mehr zu wundern. Mit Blutergus am Hals feiern wir weiter. Um 2.30 Uhr bin ich dann endlich im Bett.